Bei Begeisterung darfs Bonbons hageln

Immer wieder zündende Stegreifspiele im Freiburger Theatercafe:
Die Gruppe L.U.S.T bietet „Theatersport und ImproVision“

Auch wenn es etliche Menschen geben soll, die gar nie in Opern gehen, so hat doch ziemlich jeder eine Vorstellung davon, was die gute alte Oper im Großen und Ganzen ist. Anders geht es da noch immer dem wesentlich jüngeren „Theatersport". Auch nach Jahren des sportiven theatralen Improvisationsspektakels ist das zeitgeistige Genre außerhalb fu-rioser Fanzirkel nach wie vor publikumsmäßig in der Aufwärmphase. Dabei ist es vor allem das Publikum, das von dieser Art des Theatermachens ungeheuer profitieren kann. Wenn es will.

Wer in Freiburg als Neuling unter den Zuschauern zu dem zündenden Stegreifspiel kommt, befindet sich - zweimal im Monat - im Theatercafe in bester Gesellschaft: Ganze Fanblöcke formieren sich hier schon vor Beginn jeder Partie, geübt werden Zeitungsbollen geknüllt und Bonbons gehäufelt - bis endlich das

Badnerlied erklingt und die sechs Theatersportler zu heroischem Klang und lautem Jubel auflaufen. Für Novizen im Publikum werden in aller Kürze die Spielregeln erklärt: Bei Missfallen fliegen die Zeitungsbollen auf die Darsteller, bei Begeisterung darf s Bonbons hageln.

Nach irgendeinem Zufallsprinzip formieren sich - vorläufig - die Mannschaften, die Gelben und die Blauen, später wird querbeet gewechselt. „Wie in jedem Profisport", kommentiert lakonisch Christian Schulz, der Mann, der den Theatersport vor Jahren nachhaltig in Freiburg installiert hat. Die Punkte-Wertung nach jedem Spiel übernimmt eine Zuschauerjury - die jüngste (18 Jahre), der älteste (70 Jahre), der treueste Q (29 mal Theatersport besucht), der S Weihnachten am weitesten weg ver-£' bringt (Hawaii) und der - fast - an Weih-^ nachten Geburtstag hat (23. Dezember). Disziplinen wie das „Alphabet-Spiel", stehen auf dem (wechselnden) Programm, „Short Cuts" oder „Synchronisation". Die Themen schlägt das Publikum vor und stimmt auch darüber ab, welches Thema jeweils das Rennen macht. Dann sind die Theaterathleten am Zug, in der Disziplin „eins, zwei, drei Wörter-Spiel": Der Yuppie, der in Zwei-Wort-Sätzen sprechen muss, verzweifelt an der Rechenmaschine, die Ein-Wort-Sätze-Schwester weiß keinen Rat. Es klopft. Yuppie: „Wer da?" Schwester: „Mutter". Die Mutter überschaut alles blitzartig und beschwört den Yuppie-Sohn: „Nimm den Taschenrechner!" Am Ende kullern vor allem Zeitungsbollen auf die Bühne. Als aber am Schluss des Abends das wahnsinnige Rind nach seinem Dope verlangt - „gebt mir Tiermehl!" – und das auch noch als Ballett nachgespielt werden muss, da klicken Händeweise Bonbons aufs Parkett. Alle gehen lachend ab, nicht nur die Akteure, sondern auch das völlig erschöpfte Publikum. Anfeuern („allez les bleus!"), buhrufen, werten, Ideen vorgeben, werfen: Aktiver und involvierter kann man als Zuschauer kaum sein. Und das vergnügt s ichtlich.

Nicht anders ergeht es dem Publikum es noch jüngeren „Formats" von Theatersport, der Langversion, genannt „Improvision". Alternierend mit den Theatersportabenden finden diese je vier regiegeführten 20-Minuten-Improvisationen ebenfalls im Theatercafe statt - und sind eine veritable Freiburger Spezialität. Dargeboten von derselben cleveren Crew, dem Theater L.U.S.T. - das steht für Leidenschaft Und Spiel-Trieb. Anders als der kurzatmigere Theatersport ist die ausführlichere „Improvision" noch nicht Kult. Aber auf dem besten Wege dazu. Zum Beispiel „Regisseur AmaudTrebellier". Ausgerechnet den „Letzten Fl ug der Concorde" soll er hier und jetzt als Film inszenieren. Etwas indigniert über den Publikumsvorschlag ordert er vom (improvisierten) Bühnenarbeiter: „Isch brauch ein abgewrackte Bude." Dort monologisiert leicht angedüdelt der Käptn über Ökologie und Luxus. „Der Konflikt kumuliert!" weist Trebellier vom Regiepult an. Und Käptn und Konflikt enden nach Absturz auf einer einsamen Insel mit der Erfindung eines Flugzeuges, das mit Luft und Liebe fliegt. Die Abstimmung für den „Regisseur" bei der Improvision erfolgt mit einem Schauer roter Rosen aus dem Publikum. A uch dieses Publikum ist auf seine Kosten gekommen: Schauspielerisch sind die längeren Szenen, das Durcharbeiten eines Themas auch in der Improvisation sehr reizvoll. Und apropos Kosten: Der sportliche Theaterabend kostet 19 Mark, ermäßigt 16. Die Cola in der Pause am unterbesetzten Tresen im Theatercafe kostet 5 Mark. Und beim Bezahlen wird schon das Ende der Pause eingeläutet. Der schlechte Service aller-dings fällt nicht ins Ressort der l.u.s.t.igen Sportler. Die gewinnen zu Recht jedes ihrer Heimspiele.

Julia Littmann (Badische Zeitung)